Chronik & Geschichte

Quellhinweise:

  • «Die Migros Geschichte»; Migros Genossenschaftsbund
  • «Ein rollendes Stück Schweizer Geschichte»; Swiss Classics Revue
  • «Die Fahrzeug-Generationen von 1925 bis 1990»; GMZ
  • «Die Letzte Fahrt einer Legende»; 20Minuten Online – 2007
  • «Der Migros Verkaufsbus rollt durch die Schweiz»; 20Minuten – 2016

Der Migros-Verkaufswagen – mehr als eine Leidenschaft

Am 15. August 1925 wurde die Migros AG mit einem Startkapital von 100 000 Franken ins Handelsregister der Stadt Zürich eingetragen. An diesem denkwürdigen Tag feierte Gottlieb Duttweiler seinen 37. Geburtstag. Zehn Tage später fuhren die ersten fünf Verkaufswagen zu den Kunden. Mit Kaffee, Reis, Teigwaren, Zucker, Kokosnussfett und Seife. Die Preise waren selbstverständlich einiges günstiger als bei der Konkurrenz.

Die Fahrzeuge bedienen 178 Haltestellen in der Stadt Zürich während jeweils zehn Minuten. Dies nach einem genauen Fahrplan und bei allen Wetterbedingungen, ob es stürmt oder schneit. Sind sie doch Verkaufslokal, Botschafter und praktischer Werbeträger zugleich. Wie auf einer fahrenden Plakatwand kann auf saisonale Verkaufsaktionen eingegangen werden. Die Arbeit der Chauffeure der Verkaufswagen ist hart, ihre Tage sind lang. In diesen Zeiten sind sie Verkäufer und Fahrer zugleich.

Die Idee der fahrenden Verkaufsläden stammt ursprünglich aus den USA. In einem Vortrag gesteht Gottlieb Duttweiler 1926: «Ich mache keinerlei Ansprüche auf eine Erfindung, sondern nur auf eine zweckmässige Zusammenstellung von bekannten Ideen und Mitteln.» Seit einem Vierteljahrhundert betreibt dort beispielsweise die Mototeria Company fahrende Verkaufsstellen. Es ist wohl kein Zufall, dass ihr Gründer, L. B. Watson, aus Detroit stammt, der Heimatstadt von Henry Ford, denn dieser ist der Pionier der Kostensenkung durch rationalisierte Fliessbandproduktion. So erklärt Watson der New York Times: «Die Unterhaltskosten von Läden und ihren Verkäufern, die Mieten und Zinsen machen die Fixkosten für jeden Ladenbesitzer gewaltig.» Dank Mototeria sei das anders geworden, denn das Unternehmen gebe kein unnötiges Geld aus für Infrastruktur: «Die Hausfrau kann ihre Einkäufe vor der Haustüre machen und vermeiden, für eine teure Organisation zu bezahlen.» Das System der Verkaufswagen fasst auch in Europa Fuss. In Deutschland beispielsweise betreiben die Erben des Kurzwarenhändlers Carl Fröhling, der 1892 in Gladbach ein Geschäft für «Kurz- und Seidenwaren, Näh- und Besatzartikel» gegründet hatte, eine ganze Flotte von Verkaufswagen. Gottlieb Duttweiler ist über diese Unternehmen bestens auf dem Laufenden und informiert sich auch anhand von Bildern. 

Bei den Fahrzeugen handelte es sich um gebraucht gekaufte Ford T. Der 4-Zylinder-Benziner mit 2.9 Liter Inhalt leistete knapp 20 PS und fuhr in guten Zeiten rund 75 km/h. Dies war mehr als reichlich, damit die bis zu einer Tonne wiegenden Ware nicht durcheinander geschüttelt wurde.

Die Carrosseriefirma J.Mosser aus Urdorf tätigte die ersten Umbauten. Die Ankauf- und Umbaukosten beliefen sich auf stolze 5 000 Franken.

Die Zahl der Fahrzeuge stieg rasch auf 9, ein Jahr später auf 12 und bald waren 20 «Migros-Wagen» unterwegs. Die nächsten Verkaufswagen waren mit der Ford-Pflaume bestückt. Sieben Ford A-Typen wurden auf 4.83 m (+ ca. 1.30 m) verlängert, dafür wurde eine dritte Achse montiert, damit die 2.5 Tonnen auch befördert werden konnten. Die Breite betrug 1.64 Meter. Die Antriebsquelle war ein 4-Zylinder-Benziner mit 3.28 l Inhalt, welcher 40 Pferde in Bewegung brachte.

Herabklappbare Ladentheke

Damit war der so genannte Einbahnwagen vorgestellt. Der Fahrer konnte von der linken Seite die Ware einschieben, auf der rechten Fahrseite liess sich der Ladentisch herunterklappen. An den Umbauten waren die Firmen J.Moser aus Urdorf und E.Pfenninger aus Uster beteiligt. Mit den Automarken International, Chevrolet und Ford B wurden weitere US-Fahrzeuge bevorzugt. Später wurde das Fahrzeugsortiment mit Bedford und Mercedes-Benz ergänzt. Letztere war eine Occasion vom Typ L1, welcher um 1930 von der Luganeser Corrossier Chiattone SA aufgebaut und mit neuen/alten Züricher Kennzeichen Nr. 138-R versehen wurde. Weil die Dieselmotoren das Laufen noch nicht ganz beherrschten, war auch hier ein 4 Zylinder eingebaut. Mit seinen 3680 ccm, 45 PS bei 1800 U/min und dem Freiganggetriebe sauste man mit gut 50 km/h und etwa 2.5 Tonnen durch die Gegend.

Zu dieser Zeit soll bereits Magirus-Deutz dabei gewesen sein. Ebenso wie ein amerikanischer Federal 1932 mit 3.5 l-Herkules(Benzin)-Motor. Als Mitte der 30er Jahre die dritte Schweizer Automobil-Kennzeichen herauskamen, wurde ihm die Nummer ZH 4985 montiert. Die Nummer ZH 4997 bekam ein weiteres seltenes US-Exemplar, ein etwa gleich motorisierter Graham 1927. Ob die beiden Fahrzeuge aber als Verkaufswagen eingesetzt wurden, ist leider aus den Unterlagen nicht mehr ersichtlich. Aber sie gehörten zur damaligen Migros AG.

Nacheinander fuhren die Verkaufswagen in die verschiedenen Kantone zu den Kunden. In einigen gings etwas schneller, bei anderen weniger rasch. Im Kanton Bern gab es auf die Migros-Verkaufswagen offiziell erst ab 1960. Der Einkauf am Migros-Verkaufswagen gehörte für viele Schweizer Hausfrauen zur alltäglichen Routine. Auch Wind und Wetter hielten sie nicht davon ab, ihre Einkäufe am offenen Wagen zu tätigen. Bei gutem Wetter bot der Einkauf am Migros-Wagen eine willkommene Gelegenheit für einen kleinen Schwatz. Um sich zeitlich zu entlasten, schickten die Hausfrauen oft ihre Kinder zum Einkaufen. Gerade auf dem Dorfe war der wahre Grund jedoch häufig, dass sie selbst nicht ertappt werden wollten, wenn sie bei der viel geschmähten Migros einkauften.

Abtenteuer Migros Berlin

1931 wurden Mitarbeiter der Migros AG von der Finow-Farm (ff) nach Berlin geholt, um ihre stagnierenden fahrenden Läden in Schwung zu bringen. Mit 85 brandneuen Blitze von Opel und unter den Fittichen der Migros war das sehr wohl möglich. Opel, damals schon bei GM, wurde der 3.5-l – 6-Zylinder von Buick mit 61 PS verbaut. Die Aluminiumkasten lieferten die Linke-Hofmann-Busch-Werke in Bautzen. Der Zusammenbau fand in Berlin bei der Huberta Karrosserie GmbH statt. 1932 und Anfang 1933 florierte das Geschäft prächtig. Ende 1933 wurde jedoch der Schwung durch die deutsche Regierung abrupt gestoppt (Verbot der Schweizer Beteiligung an den Verkaufswagen). Sechs Opel Blitze kamen in die Schweiz. Die handschriftliche Aufschrift «Migros» wurde bis auf den hinteren Punkt weggewischt.

Verkaufswagen 1939 – 1945

In der Zeit des Zweiten Weltkrieges waren 15 Ford, 5 International, 2 Opel Blitz, 2 Saurer und 5 diverse als Reservefahrzeuge im Einsatz. Also beeilten sich 29 «fahrende Läden» mit Holzkohle oder Methangas ausgerüstet zu den Kunden. 1941 wurde die Migros AG in eine Genossenschaft umgewandelt.

Elektroantrieb und Kühlaggregat

1946 erschien ein Migros-SIG-Elektro-Lieferwagen (ZH 4978) auf den Strassen – revolutionär für diese frühe Zeit, leider blieb es bei diesem einen Prototypen.

Für Service und Besorgungen fuhr in den 50er-Jahren in Zürich ein DKW-Kleinlaster mit Seitenscheiben. In dieser Zeit kam in der Gegend um Neuenburg ein VW-Transporter mit Kühlaggregat ausgerüstet zum Einsatz – damit le Poisson frais, der frisch Fisch aus dem Neuen-burgersee, auch wirklich frisch blieb. Die Kunden hatten aber nicht so heftig angebissen, es blieb beim damaligen Versuch. Ein kriegsbedingter 6-Zylinder-20-PS-Dodge 1943/1944 (Ex-Militär) wurde zum Werkstatt- und Abschleppwagen umgebaut und von der Migros eingesetzt.

Mehr Ware, grössere Wagen

Bald wurde amerikanisch weitergefahren mit Chevrolet und IHC (International). Zum Einsatz kamen auch englische Bedford vom Typ OLBZ mit ihren 6-Zylinder-Benzinern mit 3500 ccm und relativ bescheidenen 73 PS. Diese Haubenfahrzeuge führen mit ZH-Nummern , dann ab dem 6. August 1956 für die Migros Valais. In diesem Jahr wurden Magirus-Deutz mit Hauben und Mercedes-Benz-LP-312/42-Frontlenker eingesetzt. Letzterer besuchte das Glarnerland. Einige dieser Aufbauten wurden in Huttwil bei der Emil Flückiger AG hergestellt.

Die ersten Selbstbedienungs-Verkaufswagen

Am 4. April 1960 wurde der erste Selbstbedienungswagen von der Migros Luzern auf die Reise geschickt. Dieser ging von Sursee über Triengen-Reiden bis Hasle. Das Ford F-700-Fahrgestell wurde bei der Carroserie Aarburg AG eingekleidet. Die Aarburger, heute CWA-Construktions SA gehören seit 1939 zu der E. Frech-Hoch AG. In der Folge erhielten die Luzernen nebst weiteren Ford und Fiat auch Berna. Es wurden nur noch Selbstbedienungs-Verkaufswagen eingesetzt. Eine Flotte von 30 Magirus-Deutz Saturn wurde bei E. Flückiger in Huttwil gebaut. Später waren auch neue Saturn und Saurer, welche in Huttwil eine Kunststoffkabine erhielten, mit Verkaufsanhängern für die Migros Winterthur/Schaffhausen unterwegs. Damit wurde eine grössere Verkaufsfläche für die Kunden bereitgestellt, welche vom Anhänger durch einen kurzen Übergang in das Zugfahrzeug gelangten. Weitere Fahrgestellbauer waren Mercedes-Benz mit dem Typ LP1413, OM Tigre (dieser vor allem für die Migros Tessin) und Saurer, die alle bei namhaften Carrossiers ihren Aufbau erhielten. Gesamtschweizerisch bedienten 1964 und 1965 der Höchststand von 144 Verkaufswagen mit rund 1 000 Verkaufsartikel rund 3 000 Verkaufs-Haltestellen.

Letzte Erneuerung des Fuhrparkes

In den 80er Jahren gab es eine weitere – die letzte Erneuerung der Migros-Flotte. Die FBW-, Mercedes-Benz- und Saurer-Fahrgestelle waren nicht mehr auf Lastwagenbasis gebaut, sondern entsprachen den komfortablen Busfahrgestellen. Später kamen für die Selbstbedienungs-Verkaufswagen nur noch die Nutzfahrzeuge Arbon Wetzikon (NAW) mit Mercedes-Benz-Motoren zum Einsatz. Die Einkleidung fand nun vor allem bei FHS und Geser AG im luzernischen Littau statt.

Das vorläufige Ende der Verkaufswagen

Am 30. November 2007 fuhren zum letzten Mal zwei Verkaufswagen der Migros-Wallis in abgelegenen Walliser Täler und bedienten zum letzten Male die 33 Gemeinden.

Gemäss Migros ist der 82-jährige Service nicht mehr rentabel. Die Unterhaltskosten seien zu hoch, und immer häufiger fahre die Kundschaft ins Tal zum Einkauf. Aus diesem Grund rechne sich wohl die Anschaffung moderner Fahreuge nicht mehr.

«Viele Leute, gerade jene, die nicht mehr so mobil sind, bedauern, dass der Camion bald nicht mehr kommt», sagte Anton Imhof, einer der zwei letzten Walliser Migros-Verkaufswagen-Chauffeure. Der Camion sei und war doch auch ein sozialer Treffpunkt der Bevölkerung.

Das Verkaufswagen – und nun?

Nach einigen Jahren der Stille stand der Bus mit dem orangen M am 8. September 2016 wieder genau dort, wo es 1925 zum ersten Mal losging: Im Hinterhof der Post an der Zürcher Limmatstrasse. Allerdings rollte er von hier aus nicht eine tägliche Standardtour ab. Sondern startete eine einmalige Revivaltournee im Rahmen der Kampagne «Von uns. Von hier.»

Nach der Eröffnung in Zürich, wo jeder den ganzen Tag lang in den Bus steigen und aktuelle Migros-Produkte kaufen konnte, ging es ab dem 13. September 2016 nach Olten und weiter über Thun ins Luzerner Eigenthal, nach Rikon und Basel, in den Neuenburger Jura nach Le Locle und schliesslich via Blatten im Lötschental ins Tessin nach Arogno. Insgesamt besuchte der Migros-Bus zwanzig Stationen.

Der Grund war der «Weisch-no»-Wettbewerb der Migros diesen Sommer. Der Preis der zwanzig Gewinner war ein Einkauf im Wert von 500 Franken in dem restaurierten Bus – vor der eigenen Haustür. Auch für die Anwohner stand der Bus offen.

Migros Ostschweiz – ein Revival im 2023!

Im Jahr 2023 bringt die Migros Ostschweiz einen Verkaufswagen zurück auf die Strasse. Passend zum 20-Jahre Jubiläum von «Aus der Region. Für die Region.» (kurz AdR).

Hier hält der Migros-Verkaufsbus in den kommenden Monaten:

  • Migros Neuwiesen Winterthur – 30. Juni + 1. Juli
  • Oberland Märt, Wetzikon – 7. & 8. Juli
  • Davos @ Promenade – 4-. August
  • St. Moritz Running Festival – 11-13. August
  • slowUp Bodensee – 27. August
  • Herblinger Markt, Schaffhausen – 1. & 2. September
  • Seepark Kreuzlingen – 22. & 23. September

weitere Informationen: https://ostschweiz.ausderregion.ch/verkaufswagen/